SPECTRUM @ Musée Burghalde (deutsch)
01.12.2024 – 02.11.2025
Kontakt: Dr. Marc Philip Seidel, Museumsleiter; marc.seidel@lenzburg.ch; 079 718 38 19
Hubert Crevoisiers aussergewöhnliche Glaskunst und die Installationen aus verschiedenen Epochen seiner 35-jährigen Schaffenszeit werfen ein neues Licht auf die orthodoxen Ikonen. «SPECTRUM» als Palette, Skala, Variation, aber auch als Füllean Veränderungsmöglichkeiten inszeniert ein Aufeinandertreffen, ein Verschmelzen und ein gegenseitiges Durchdringen, das erkundet werden will.
In einer übervollen Konsumwelt erscheint die Ausstellung als leiser, atmungsaktiver Kosmos, wo Farben, Formen und Symbole als stille Momentaufnahme wirken. Intuitive Ansätze finden hier ihre ästhetische Materialisierung und weiten den Horizont überdas Sichtbare hinaus. Kühn verortet, lädt diese feinfühlige Inszenierung mit starken künstlerischen Positionen im Ikonenmuseum zum Diskurs ein.
Das Erleben der Ausstellung
Die Titel der Objekte und Installationen verraten, dass man bei Hubert Crevoisier vergeblich nach figürlichen Darstellungen sucht. Vielmehr sind den Werken Namen zugeordnet, die philosophische Themen, übergeordnete Aspekte und Symbole aufgreifen. Ihnen liegt ein intuitiver Ansatz zugrunde. Hier im Ikonenmuseum fügen sie sich ein in den Kontext, bestehend aus Ikonen als Abbilder, Kunstwerke, Kultobjekte.
Die Ausstellung: «Spectrum» lässt sich über verschiedene Wege erkunden. Zum Zugang über die subjektive Wahrnehmung sagt der Künstler selbst: «Je viens pas de la pensée mais de l’intuitiv et je vais vers l’universel. Ma connaissance vient de l’expérience».
(Ich komme nicht aus Gedanken, sondern aus Intuition und gehe auf das Universelle zu. Mein Wissen kommt aus Erfahrung).
Gleichzeitig lassen sich aus kunsthistorischer Sicht Verbindungen zu den orthodoxen Heiligenbildern herstellen. Es ist wohl dieses Zusammenspiel der verschiedenen Aspekte, das dieser Ausstellung eine gewisse Magie verleiht.
(> 1) Transformation
Eingangs in der Vitrine befindet sich das Objekt «Cocon de verre». Es nimmt Bezug auf den Ursprung, der die Verwandlung (Metamorphose) bereits in sich trägt. Es eröffnet die Ausstellung als Ort der Transformation – da, wo die gelbe Dynamik (Dynamique jaune) das blaue Bergmassiv (Montagne bleue) in eine grüne Kathedrale (Cathédrale verte) verwandeln kann:C’est un espace de transformation, où la dynamique jaune peut transformer la montagne bleu en cathédrale verte».Der gläserne Kokon (seit 1998) befindet sich in mehreren privaten und öffentlichen Sammlungen (Musverre, Ariana Museum, Saint-Louis Museum - La Grande Place). Ausgestellt ist ein transparentes Objekt mit bernsteinfarbener Note, in den Cristalleries de Saint Louis, (Fr).
Glas, Glasfäden, geblasen, 2000.
(>2) «SQUARE orange» und «SQUARE yellow» –Ein Raum aus Licht
Die Objekte SQUARE 23 wurden im Rahmen der Ausstellung «Fusions» (2013) im Vitromusée in Romont präsentiert. Besonders subtil sind die Platzierungen der minimalistischen Glasobjekte SQUARE orange (auf Metallrahmen) und SQUARE yellow (frei) hier im Ikonenatelier. Die Magie der leuchtenden Farbkraft nimmt die naturreinen Pigmente im Rahmen der Ikonenmalerei auf. Die Ausstellung «Spectrum» war gleichzeitig ein Experiment über die Wirkung der Glasobjekte unter Ausschluss des Tageslichts. Das Besondere an Hubert Crevoisiers Glasobjekten ist die sich wandelnde Erscheinung angepasst an die Lichtquelle. Je nach Licht «schalten» sich die Objekte ein oder aus. Das Leben, die Struktur auf der Haut des Objekts, stammt von der ursprünglichen Wachsarbeit.
Glas, mit Metallrahmen, Teil einer Reihe von Squares in anderen Farben. Erhältlich sind pink, blau und türkis, 2013.
(> 3) «Bateau» – Die Kristallbarke
«C’est toujours le passage, la transformation de la vie à la mort, de la naissance dans la vie». Hubert Crevoisiers Aussage des Wandels vom Leben in den Tod und von der Geburt in das Leben verbalisiert die Bedeutung der Kristallbarke. Das Gefährt auf dem Fluss, der das Irdische vom Totenreich trennt, erscheint etwa in der griechischen Mythologie. Im alten Ägypten fanden Boote Eingang in die Pharaonengräber für die Reise in der Nachwelt. Hubert Crevoisiers intuitives Werk lässt ein kostbar im Licht glitzerndes Objekt erscheinen, das einer Kristallhöhle gleich einen Mikrokosmos eröffnet.
Glas, ca. 80 x 15 cm, Unikat, 2005.
(>4) «Mesurer l’Espace» – Das Mass aller Dinge ?
Die Installation nimmt Bezug auf die Vermessung des Individuums, so wie der Künstler selbst anhand dieser roten Leisten von Personen Mass genommen hat. Die Recherchearbeiten für statistische Grössen, individuellen Ausprägungen und göttliche Einheiten (u. a. «Goldener Schnitt») rufen Le Corbusiers anthropomorphes Masssystem («Modulor», entwickelt 1942 bis 1955) und Leonardo Da Vincis vitruvianischen Mensch (Zeichnung um 1490) ins Gedächtnis.
Holz, rot gefärbt, 250 x 3 x 2 cm, undatiert.
(< 4) Der rote Faden oder «Bâton rouge»
Die Farbsymbolik spielt in der Alchemie wie in der Kunstgeschichte eine zentrale Rolle. Auch in unserer Kulturgeschichte sind Farben mit Symbolen und Geschichten verbunden, denken wir etwa an den «roten Faden», der um den Stab aus Glas («Bâton rouge») gewickelt ist. Hier lässt sich eine Assoziation zum Faden, der aus dem Labyrinth (Ariadnefaden) und zum Lebensfaden spinnen, der mit dem Aaronstab als Wegbegleiter ein besonderes Gewicht erhält. Das Spinnen, Bemessen und Abschneiden des Schicksalsfadens lässt sich gar auf die vorchristliche Zeit etwa ins alte Griechenland (drei Moiren) zurückverfolgen.
Glas, mundgeblasen (Glashütte, Mattéo Gonet, Münchenstein), umwickelt mit rotem Faden. 200 x 7 cm, 2020.
(>6) «Montagne bleue»
Ursprünglich entstand die Skulptur «Montagne bleue» für eine Ausstellung im Jahr 2022 im Ariana Museum in Genf. Bestehend aus 200 individuellen Glaspflastersteinen («Pavé bleu»), signiert und nummeriert, lud das Projekt die Besuchenden ein, die Dynamik von Raum, Materie, Licht und Farbe zu erforschen. Der intuitive Findungsprozess im Rahmen der Ausstellungsszenographie für «Spectrum» brachte die leuchtblauen Glassteine mit dem kleinformatigen Ikonen-Triptychon zusammen. Die Farbe Blau symbolisiert im Judentum das Göttliche, Glauben und Offenbarung. In der römisch-katholischen Kirche ist Blau eine liturgische Farbe. Der blaue Mantel bei Maria steht für ihre Verbindung zum Himmel, zum Göttlichen und für ihren festen Glauben und ihre Reinheit.
Glas, 15 x 15 x 15 cm, 2022.
(> 7) «Cathédrale verte»: Minimalistische Ausführung und biblische Aspekte
Das Multiple «Cathédrale verte» entpuppt sich mit den Untertiteln als Gegenüberstellung des mythologischen Grundprinzips des Dualismus. Auf den ersten Blick irritierend, eröffnen die Objekte mit den grünen Fäden bald eine faszinierende Facette, wenn der Grundgedanke von Ordnung und Chaos offenbar wird. Das Zitat des Künstlers stellt den diskursiven Ansatz von Intuition und Logik ins Zentrum: «L’intuition est une connaissance enchevetrée. La logique est une connaissance désenchevetrée».
(Intuition ist verworrenes Wissen. Logik ist entwirrtes, strukturiertes Wissen).
Das Werk als Resultat eines meditativen Prozesses referiert auf die Transformation in der Natur, ausgelöst durch das Grün und der Photosynthese. Beim Künstler erfährt diese Energie eine Umwandlung. Während eines ganzen Jahres verarbeitete er Faden um Faden, wobei ein jeder eingesetzt, abgemessen und gekämmt, respektive verwickelt wurde.
Holz mit grünem Faden (Cathédrale verte n.1 - désenchevêtrement), respektive Grüner Faden auf Draht gewickelt (Cathédraleverte n.2 - enchevêtrement), 2020/2024.
«Cathédrale verte 2 »
> 8) «ACT DO MAKE»
Die Farbe Rot erscheint, wie bei «Bâton Rouge» , auch bei «ACT DO MAKE» und hebt in gleich dreifacher Ausführung die Aufforderung zum aktiven Handeln hervor. Insofern lässt sich eine Botschaft lesen, die jedes Individuum auffordert, wörtlich den Faden aufzunehmen und sein Leben in die Hand zu nehmen. Erschaffe! Mach etwas draus, trage deinen Teil für eine bessere Welt bei! Nur dadurch lassen sich im Leben neue Perspektiven erschliessen.
Sandstrahlgravur auf St. Just-Glas, 48 x 36,5 cm, undatiert.
> 9) «Dynamique jaune»
Hauptattraktion in der Ausstellung «Spectrum» ist die Installation vor der Ikonenwand (Ikonostase). Formell referieren die rechteckigen Glaskörper, auf schlanken Holztischen positioniert, auf die Aneinanderreihung unterschiedlicher Heiligenbilder.
Der Künstler meint hier zu:
«Die Bearbeitung der Oberfläche der Glasobjekte, sodass der gelbe Farbraum zu leuchten beginnt, ist ein heikler technischer Prozess. Die Recherchen in der Werkstatt von Mattéo Gonet in Münchenstein in Basel dauerten mehrere Monate. Die technische Lösung für die Form lag in der Herstellung von Wachsformen. Mehrere Farbtests führten zur Wiederaufnahme eine Produktion der Farbe Nr. 5501 mit einem höheren Bleigehalt. Damit kann das Material mehr Licht einfangen. Die Brechkraft nimmt zu».
13 Glasobjekte, verschiedene Grössen, nummeriert und signiert, 2022.